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Die Kreativität der Lerngruppe ist es, die die Lehrenden trägt.

Interview mit Prof. Hans Jürgen Schlösser, Zentrum für ökonomische Bildung in Siegen (ZöBiS)

Foto von Prof. Hans Jürgen Schlösser
Was ist das Besondere an ökonomischen Experimenten?

Prof. Schlösser: Einer der Begründer der ökonomischen Experimente hat auf diese Frage mal geantwortet: „Wenn Sie an einem ökonomischen Experiment teilnehmen, ist das so ähnlich, als ob Sie zum Abendessen bei Kannibalen eingeladen sind. Sie wissen nicht genau, ob Sie Teil der Gäste oder Teil des Essens sind. Sie erfahren es erst im Verlauf des Abends.“ Das bedeutet: Als Lehrer haben Sie den Verlauf und das Ergebnis eines Experiments nicht in der Hand. Das soll auch so sein. Das heißt nicht, dass der Unterricht chaotisch verläuft. Sie haben trotzdem Lernziele. Die Offenheit soll vielmehr Kreativität freisetzen. Und Kreativität ist nicht planbar.

Für welche Lernzwecke eignen sich Experimente besonders?

Prof. Schlösser: Für solche Situationen, in denen es um Knowhow geht. Ich unterscheide bewusst zwischen Know-what und Know-how. Für das Know-what, also beispielsweise, Begriffe zu kennen oder Daten im Kopf zu haben, eignen sich ökonomische Experimente nicht besonders gut. Hier sollte man als Lehrer eher auf traditionelle Methoden zurückgreifen. Auf Übungen beispielsweise, in denen Aufgaben gelöst werden. Nur: Know-what ohne Know-how ist träges Wissen. Und für das Know-how brauchen wir die ökonomischen Experimente.

Welches Know-how vermitteln ökonomische Experimente?

Prof. Schlösser: Die Schüler durchleben hier Konflikte: Zielkonflikte und Interessenkonflikte. Und sie müssen dann Entscheidungen treffen.

Welches können die Zielsetzungen für die richtigen Entscheidungen in ökonomischen Experimenten sein?

Prof. Schlösser: Das ist erstens die Kosten-Nutzen-Analyse. Die Menschen, auch schon Jugendliche, argumentieren und verhalten sich sehr Kosten-Nutzen-orientiert. Dazu kommt zweitens das Bedürfnis nach gesellschaftlicher Ordnung. Man könnte glauben, dass auch schon Schülerinnen und Schüler dazu neigen, im ökonomischen Kontext die Ellbogen einzusetzen oder deren Einsatz positiv zu bewerten. Die Realität ist ganz anders: Sie haben stattdessen ein Bedürfnis nach Fairness. Ich spreche bewusst nicht von Gerechtigkeit. Der Einfluss von Fairness als Anreizsystem basiert auf folgendem Gedanken: Wir brauchen die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren. Das ist die Grundidee menschlicher Ordnungsbildung.

Welche besonderen Herausforderungen kommen bei Experimenten auf die Lehrkräfte zu?

Prof. Schlösser: Wer Experimente als Methode nutzen will, muss sich in erster Linie sehr gründlich vorbereiten. Das betrifft insbesondere die Materialien, also die Spielutensilien und die schriftlichen Spielanweisungen. Dazu kommt – das klingt schon fast trivial, ist aber sehr wichtig – dass den Lehrenden die inhaltliche Struktur des Experiments klar sein muss, bevor es beginnt. Immerhin gibt es einige Experimente, mit deren Spielanlage man sich erst einmal beschäftigen muss, bevor man ihren tieferen Sinn verstanden hat. Und dann muss der Lehrende dafür offen sein, dass das Experiment einen anderen Verlauf nehmen kann, als er erwartet. Das weiß man aber vorher nicht. Darum muss man darauf vorbereitet sein.

Muss man nicht befürchten, dass Lehrkräfte von einer Methode, bei der sie nicht wissen, welches Ergebnis sie damit erzielen, eher die Finger lassen?

Prof. Schlösser: Sie haben vollkommen recht. Wenn ich einen ganz traditionellen Frontalunterricht mache, dann habe ich den immer noch einigermaßen im Griff, wenn ich 30 Lernende habe und davon machen 20 nicht mit. Mit den zehn übrigen komme ich noch zurecht. Im Experiment klappt das nicht. Wenn Sie zehn haben, die mitmachen, und 20, die nicht mitmachen, wird das sehr schwierig. Deshalb spielt ja die Vorbereitung eine so große Rolle. Aber ich kann den Lehrpersonen Folgendes versichern: Wenn Sie das längere Zeit machen, werden Sie mit hundertprozentiger Sicherheit kein Burn-out- Problem bekommen. Ökonomische Experimente verlangen zwar viel Vorbereitung, verursachen dafür aber wenig Stress und viel Freude in der Durchführung.

Was sorgt für die Freude bei ökonomischen Experimenten?

Prof. Schlösser: Die Freude ist untrennbar mit der Kreativität verbunden. Wenn Sie Lerngruppen haben, die kreativ sind, die auf neue Ideen kommen, ist der Unterricht gar nicht mehr anstrengend. Die Kreativität Ihrer Lerngruppe ist es, die Sie als Lehrenden trägt. Die Sie herausfordert, unterstützt und anregt.